Die ersten Proben zu »Fliegende Autos« sind erfolgreich angelaufen, alle sind voll motiviert, plötzlich ist die Coronakrise da. Und die Frage, wie es jetzt für alle weitergeht. Ein Anruf bei Regisseurin Jessica Glause über schlaflose Nächte, Theater als soziale Praxis und den aktuellen (Zwischen-)Stand der Dinge. Nachzulesen hier im Protokoll.
»Die Situation ist natürlich maximal uneinschätzbar. Ich lag bereits seit zehn Tagen mehrere Nächte wach, weil ich gesehen habe, was in Bayern, wo ich lebe, schon für Einschränkungen passierten. Deshalb war ich früh im Alarm-Modus und habe mehrere Varianten überlegt, die man trotz Schulschließungen machen könnte.

Ein erster Gedanke war, ein Hörspiel zu machen: Schnell noch einmal alle ins Tonstudio schicken, um Aufnahmen zu machen. Oder, falls das nicht mehr möglich wäre, ein Hörspiel per Whatsapp: Alle sprechen ihre Parts per Sprachnachricht ein, und daraus schneiden wir dann ein Hörspiel.

Das wäre natürlich eine passende Corona-Ästhetik – maximale Vereinzelung, einzelne Stimmen, die nicht im realen Raum zusammenfinden, sondern nur mit Hilfe digitaler Medien. Aber genau deshalb bin ich davon abgekommen. Gerade jetzt geht es ja darum, der Vereinzelung entgegenzuwirken: Die Gemeinschaft muss aus meiner Sicht wieder zusammenfinden. Dies ist nur durch leibliche Koexistenz möglich. Die Gemeinschaft der Spieler:innen trifft zusammen und teilt sich leiblich einen Raum mit den Zuschauer:innen – und erlebt gemeinsam. Dieses Erleben ist gerade bei dieser Produktion wichtig.

Das Wesentliche ist jetzt für mich, alle Kraft dahingehend zu investieren, weg aus der Privatisierung, hin zur Zusammenkunft. Die Re-Bildung der Gemeinschaft voranzubringen. Bis vor ein paar Tagen hatte ich noch viel Optimismus und Energie. Da dachte ich: Wir machen jetzt einfach das bestausgestattete Happening, das es geben kann. Mit den Mitteln und Möglichkeiten, die wir angesichts der aktuellen Situation haben. Die Werkstätten bauen weiter an der Bühne, die Kostüme sind da. Wir nutzen die Zeit, die wir haben und knüpfen an die bereits stattgefundenen Proben an. Ich weiß, wir haben nach den Osterferien nur eine Woche Zeit vor der Premiere, aber wir rocken das! Diese Wahrscheinlichkeit schwindet mit den täglichen Nachrichten und Prognosen der Virolog:innen immer mehr.

Das aufgeben zu müssen, schmerzt

Bei ALL OUR FUTURES haben wir nicht nur eine, sondern gleich eine doppelte Problematik: Die erste Problematik ist die Anzahl aller Beteiligten – zu diesem Zeitpunkt 120 Schülerinnen und Schüler! Das ist keine Produktion, bei der man 1,5 Meter Abstand halten kann. Zudem müssten die Schulen erstmal wieder öffnen, damit wir proben können. Die zweite ist die große Bühne mit 700 Zuschauerplätzen, die wieder geöffnet sein müsste. Es ist beides sehr fraglich. Als drittes ist natürlich auch die Frage, wieviel Zeit uns die Schulen angesichts der ungewöhnlichen Situation überhaupt einräumen können. Ob Prüfungen verschoben werden oder beibehalten. Das macht den 25.4. als Premiere also schwer möglich. Daher versuchen wir gerade, einen anderen Termin zu finden. Alle haben große Hoffnung. Allerdings muss man eines realistisch festhalten: Die Inszenierung wird so, wie wir sie geplant haben, nicht stattfinden. Das muss man mit traurigem Herzen sagen.

Die Proben haben super angefangen, es war eine sehr schöne und inspirierende Zusammenkunft. Alle hatten viel Spaß, wenn auch die Zusammenarbeit mit jeder Klasse ganz anders war. Wir sind ganz überraschend gut ins Arbeiten gekommen, ins Probieren … der krönende Abschluss, der war endlich greifbar! Und der Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern war für mich und mein Team einfach sehr, sehr schön. Das nun aufgeben zu müssen, das schmerzt.

Trotzdem versuche ich gerade, zusammen mit den Dramaturg:innen Alexander und Martina, einen würdigen Abschluss zu finden. Dass wir zusammenkommen, in welcher Form auch immer.
Die aktuelle Situation ist für den gesamten Kultur-, Kunst-, Theaterbetrieb nicht einfach. Aber für die Schülerinnen und Schüler finde ich sie nochmals krasser: Wäre das eine Schauspielproduktion, dann könnte man sie vielleicht wiederholen, verschieben. Das geht bei dieser Produktion nicht so ohne weiteres. Das macht die Angelegenheit noch bedauerlicher. Noch schmerzhafter. Das große Versprechen: Einmal zusammen dieses große, gemeinsame Theatererlebnis zu haben – im schlimmsten Falle einfach weg.

Theater erlebt sich durch die Co-Präsenz, durch die Anwesenheit aller. Dazu braucht man den Prozess, die Aufführung, die Endproben und das Publikum. Dann können die Schüler:innen merken, was sie geschafft haben – zusammen geschafft haben.

Wie alle warten wir, wie für alle ist es nicht einschätzbar, was kommen wird. Wir Theatertiere sind ja auch maximal auf soziale Kontakte ausgelegt, der Lockdown fällt uns allen schwer. Nun warten wir auf die nächsten neuen Leitlinien, an Hand derer wir dann navigieren, wie es weitergeht.«