Paul Hübner widmet sich als Trompeter vor allem der experimentellen und neuen Musik. Zu seiner Arbeit gehört auch die intensive Zusammenarbeit mit Komponist:innen zur Realisation neuer Werke  und die Erforschung neuer Klänge  akustischer, inhaltlicher und sozialer Art  in eigenen Kompositionen und Installationen. Bei ALL OUR FUTURES war er Mitglied des Künstler-Teams NORD. Ein Gespräch über Punkte, an denen man sich trifft, Musik als Werkzeug und über das Lernen, immer wieder neu und anders zuzuhören.
Paul, du hast jetzt quasi schon vorgelegt mit dieser offenen Frage, die du im Vorgespräch gestellt hast, also fangen wir gern damit an: Wie wollen wir leben?
Ja, die Frage war während der drei Jahre All our Futures immer eher theoretisch da irgendwo im Hintergrund – und jetzt stellt sie sich plötzlich ganz konkret, auch wenn wir momentan vieles nicht in der Hand haben. Wie können wir füreinander da sein, wenn jeder für sich daheim bleiben muss? Wir haben die ganzen drei Jahre unter den Vorzeichen von Miteinander und Austausch gearbeitet, und das bricht jetzt natürlich ganz plötzlich komplett weg. Und man sieht: ohne die Gesellschaft, die einen konstruiert, findet man als Individuum nicht statt. Die Lösung und die Antwort auf die Frage steht bei Iwan Jefremow: »Die einzige Rettung ist gemeinsame Arbeit und gemeinsames Nachdenken.«

Die Ironie ist etwas bitter: ALL OUR FUTURES trägt die Frage nach der Gemeinschaft ja schon im Titel. Nun erhält ausgerechnet der krönende Abschluss eine, wie die Regisseurin Jessica Glause im Gespräch mit mir meinte, unfreiwillige »Corona-Ästhetik«. Alle sind vereinzelt zu Hause, können sich gerade nicht im realen Raum austauschen und zusammenfinden.

Und keiner kann absehen, wie lange das dauert, oder zu welcher Form von Normalität wir danach zurückkehren werden. Alternative Kommunikationsmodelle sind bisher kaum erprobt, und jeder, der sich gerade durch Zoom- und Skype-Meetings schlägt, weiß, an welchen Stellen das hakt. Vielleicht birgt die aktuelle Situation aber auch die Chance, dass wir diese alternativen Formen gemeinsam entdecken können, wenn absehbar ist, dass mit den bekannten Mitteln kein gemeinsamer Abschluss gefunden werden kann.

Außerhalb von AOF bist du Trompeter und Komponist, bevorzugt im Feld der Neuen Musik unterwegs. »Zwischen Virtuosität und Klamauk«, fasste eine Pressestimme (so ähnlich) einmal deine Arbeit zusammen. Kannst du damit etwas anfangen?

Das war, glaube ich, als nettes Kompliment gemeint. Ich versuch’s mal so: Virtuosität meint wahrscheinlich eine Liebe fürs Handwerkliche, gut Gebaute, Klamauk steht dafür, lebensnahe Themen anzupacken, oder überhaupt, Dingen ihre Schwere zu nehmen. Und angesichts einer schleichenden Vorherrschaft des Tragischen, die man ja an ganz vielen Ecken diagnostizieren kann, ist so ein Zugriff vielleicht nicht ganz verkehrt.
Kannst du dich noch daran erinnern, mit welcher Erwartung du in deine erste AOF-Gruppe gegangen bist – und wie sich die im Laufe der Jahre verändert hat?

Kann ich zum Glück nicht. Wahrscheinlich waren die Erwartungen total seltsam und im Nachhinein bestimmt falsch, von außen betrachtet. Natürlich hat man immer eine Vorstellung, auf wen man da trifft, und wohin das dann führt. Aber besonders in diesem Projekt habe ich gelernt, dass man immer wieder neu und anders zuhören muss, um herauszufinden, wo dieser Punkt ist, an dem man sich trifft. Das hat die letzte Arbeit, die wir mit den Schüler:innen vom Gymnasium Riedberg gemacht haben, präzise auf den Punkt gebracht: »Wenn man eine Brücke baut, erreicht man einen Ort, der vorher unerreichbar schien. Oder anders: die Brücke erschafft die Möglichkeit an einen neuen Ort zu gelangen, der durch das Bauen erst entstanden ist. Und ich meine nicht die andere Seite der Brücke, sondern den Punkt in der Mitte der Brücke, der vorher in der Luft lag. Diesen Punkt konnte man sich vorher nicht vorstellen.« Das beschreibt den künstlerischen Prozess über diese drei Jahre ziemlich gut.

Eigentlich wollte ich nach den Kontinuitäten und Brüchen fragen, die deine Arbeit in beiden Phasen von AOF durchzieht. Nun wird es die große Schlussaufführung zumindest in der geplanten Form nicht geben. Trotzdem: Wie hast du, aus deiner künstlerisch-musikalischen Warte heraus, den Übergang von der ersten, langen Phase zur Schlussphase jetzt wahrgenommen?

Ich habe mich gefreut, in dieser Schlussphase, die vom Arbeiten her schon ganz anders angelegt war, weil eben ein bereits fertiger Text inszeniert wurde, dabei zu sein, genau aus dem Grund: zu schauen, wo man Anlagen aus der langen ersten Phase aufgreifen und entwickeln kann. In der Musik betrifft das für mich vor allen Dingen das gemeinsame Musikmachen auf der Bühne.

Für »Fliegende Autos« hast du in der Musikgestaltung mit Benedikt Brachtel zusammen gearbeitet. Wie kann man sich die Aufgabenteilung, Ideenfindung und so weiter vorstellen? Oder wäre das ein doing-by-doing geworden?

Die Frage hätte ich dir nach der Generalprobe besser beantworten können. So eine Zusammenarbeit entsteht ja nicht am Reißbrett sondern im gemeinsamen Tun – und das findet eben gerade nicht statt. Mich hat vor allem interessiert, Musik auf der Bühne als Werkzeug zu nutzen, etwas zu verhandeln oder zu erzählen, und die Jugendlichen dabei zu unterstützen, das konkret umzusetzen.
Ob mit Aufführung oder ohne: Was nimmst du mit aus knapp 3 Jahren AOF? 
Dass es in »All Our Futures« nicht so sehr um die »Futures« geht, sondern um das »our«: Wen meinen wir, wenn wir »wir« sagen? Die Frage, wie wir leben wollen, was für eine Zukunft wir wollen, betrifft ja mehr Leute, als die, die sich normalerweise dazu äußern können. Die Unterhaltung darüber, wie diese Gesellschaftsentwürfe aussehen, die wir in der Kunst ja bauen wollen, muss man eben für mehr Menschen aufmachen – und wenn man das ernst nimmt, ändert  sich das eigene ästhetische Bewertungssystem und damit auch die Kunst, die man macht. Das habe ich für mich definitiv festgestellt.

Ich bin sehr dankbar für diese drei Jahre. Wir als Künstler:innen arbeiten ja meistens in viel kürzeren Zeiträumen. Mit Menschen, und das meint zum einen meine Kolleg:innen, aber auch die Jugendlichen in den Gruppen, über so einen langen Zeitraum so regelmäßig zu arbeiten, das ist schon etwas Besonderes.

Vielen Dank für das Gespräch!