Welche Erwartungen darf man an die Architektur haben? »Baue ein Gebäude, das alle Probleme löst«, fordert ein Banner an der unverputzten Innenwand. Aber zumindest hier und jetzt sind die Anforderungen etwas bescheidener gelagert – vorerst gilt es nur, jeweils ein dringendes Problem pro Bauwerk zu lösen (später wird noch eines hinzukommen, womit wir dann aber auch erst bei zwei Problemen wären): Beim heutigen gemeinsamen Reise-Tryout, bei dem die Schule am Ried der Einladung des Gymnasium Riedberg in die Heddernheimer Höfe gefolgt ist, geht es um Schnelligkeit, Kreation, aber auch ums Fertigstellen der eben erst aus dem Ärmel geschüttelten Ideen. Und es geht, natürlich, um Teamwork: Vier Gruppen stellen die Künstler:innenteams zusammen, auf dass die ALL OUR FUTURES auch wirklich schulübergreifend zusammenarbeiten. Notorisch untrennbare Banknachbar:innen werden dabei vorsorglich auseinander gesetzt – ein klassisches, aber immer noch unvergleichlich effektvolles Mittel.

Doch bevor man sie lösen kann, muss man erst einmal Probleme haben. Das sollte eigentlich nicht so schwer sein, oder? Fleißig wird gesammelt. Welche Probleme fallen den Schüler:innen ein, die ein Haus zu lösen hätte? »Zu teuer!« kommt ein Zuruf, »Umweltschutz!“, oder auch: »Zu wenig Platz!« Jorma geht das alles nicht weit genug: »Denkt doch auch einmal ganz anders. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Haus, dessen Größe sich immer wieder meinem Bedarf anpasst?« Außerdem, fügt ein anderer hinzu, seien Häuser »sauanstrengend«, wenn sie mehr als eine Etage umfassten. Weitere mögliche Schwachstellen: Häuser brauchen so viele Anschlüsse. Und sie bieten entweder viel Licht, heizen sich dann im Frankfurter Sommer aber enorm auf, oder ihre Fenster werden verspiegelt, wodurch es innen dann leider viel dunkler wird. Annabel schlägt ein wirklich abgefahrenes Verfahren vor, von dem offenbar noch keiner der anwesenden Lehrer:innen oder Künstler:innen je gehört hat: Bei Sonneneinstrahlung soll ein Gasgemisch in den Zwischenraum zwischen den Fensterscheiben geführt werden, welches sich durch Hinzugabe eines zweiten Gases schwarz färbt.

Wir sind ja hier kein Fünf-Sterne-Hotel

Besonders lautstark geht es an Tisch 1 zu, wo sich Julian bald zum Bauleiter mit leicht diktatorischen, aber eben auch durchaus charismatischen Zügen aufschwingt. »Versteht ihr meine Vision?« Evrim und die anderen schütteln den Kopf, alle lachen: »Ich auch nicht!«


Gebaut wird trotzdem: Ein Hochhaus, das möglichst vielen Menschen Platz und Annehmlichkeiten bietet, dabei aber, so die wichtigste Anforderung, nicht zu teuer wird. Der Clou: Neben dem schmalen Grundriss überlegt sich die Gruppe eine Dachterrasse, die als Gemeinschaftsfläche all das bereithalten soll, das in den eher bescheiden zugeschnittenen Wohnungen fehlt. Denn: »Wir sind ja hier kein Fünf-Sterne-Hotel!« wie Julian abbügelt. Statt Einzelbalkonen gibt es einen großen Gemeinschaftsgarten mit einem Angebotskatalog, wie man ihn sonst nur aus den neu hochgezogenen Luxusapartmentanlagen im Frankfurter Ostend oder Gallusviertel kennt: Eine Wiese mit Apfelbäumen und Bienen, die den Honig fürs Frühstück und das Obst für den Kuchen im hauseigenen Dachcafé liefern, von wo aus man auf die Bühne mit wechselnden Aufführungen schauen und bei schönem Wetter danach noch in den Pool springen kann. Damit hätte man dann auch gleich noch die zweite Anforderung, ein gesundes und glückliches Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, galant gelöst. Gegen eine Formulierung des Künstlerteams regt sich allerdings auch Widerstand: »Man kann ja nicht beeinflussen, ob die Leute, die hier wohnen, sich auch lieben!« wirft Evrim ein. Anspruch und Wirklichkeit spielen also auch hier eine wichtige Rolle.

Klingt traumhaft, hat aber seinen Preis: Damit alle möglichst günstig wohnen können, bleibt der eingebaute Fahrstuhl »Behinderten, alten Menschen und Verletzten« vorbehalten. Ob der eingesparte Strompreis bei 300 Bewohnern tatsächlich ins Gewicht fällt? Julian bringt noch ein anderes Argument für diese Auflage ein: »Treppensteigen kann man als Cardio nutzen und sich so die Mitgliedschaft im Fitnessstudio sparen.«  Zum Schluss gibt die Gruppe ihrem Gebäude den vorerst besten Namen, den ein Immobilienprojekt in dieser Stadt vermutlich bis dato innehatte: KRASSES HAUS.

Interieurs- und Ingenieurskunst

Am Tisch 4 geht es ganz und gar nicht klotzig zu, sondern ausgesprochen detailverliebt. Die hier entstehende Version eines »Tiny House« war ursprünglich mal ein Wohnwagen, aber dann kam alles anders, und man musste sich flexibel zeigen: Laut Aufgabenstellung sollten die Hausbewohner »nicht auf der Straße leben«, also schraubte man die Räder ab. Außen sorgt eine Holzvertäfelung für Gemütlichkeit, den Innenraum haben vor allem Johanna und Gina mit Designer-Flauschteppichen, Kissen, Bilderdekorationen und dem Flatscreen inklusive schon gebuchtem Netflix-Abo bezugsfertig ausgestattet. Bisschen viel Interieur, hört man aus dem Publikum, aber ausnahmslos hübsch – und allemal ein gutes Beispiel dafür, wie sich auf kleinem Raum behaglich wohnen ließe.

Architekturkritik gehört dazu. Auch das ingenieurstechnisch ausgeklügelte Mehrgenerationenhaus mit (allerdings noch nicht fertigem) Aufzug erntet Einwürfe: »Zehn Tonnen an Bäumen auf dem Dach – was passiert, wenn die einmal umfallen?« Auch hier kontern die Bauleiter:innen Sonja, Fabio und Co. ganz Kommunikations-Vollprofi nicht mit einer direkten Antwort, sondern bringen einfach andere Stärken vor: Rundum verglaste Panoramafenster, eine farblich ansprechende Fassadengestaltung und ein Hack, den wohl keiner der heute anwesenden Konkurrent:innen toppen kann: Das Haus kann bei Bedarf auch zu Wasser gelassen werden, ist also eine Art Amphibienfahrzeug mit eingebautem Propeller-Antrieb. Bei so viel geballter PR-Power sind die potenziellen Schwächen schnell vergessen.  Die lichtschluckenden Gas-Spezialfenster, die Annabel in der Vorrunde eingeworfen hatte, wurden diesmal übrigens nicht verbaut.


Beim vierten und letzten Hausbau spielt vor allem der Nachhaltigkeitsaspekt eine wichtige Rolle: »Häuser nehmen viel Fläche ein«, erklärt die Gruppe bei ihrer Präsentation. Also hat man das Gebäude auf Schienen gesetzt, wodurch die unterliegende Grasfläche immer wieder im Wechsel von Sonne beschienen und von Regen durchnässt werden könne. Und die Dachfläche? Liefert gleich auf doppelte Weise Strom: Nicht nur durch eingebaute Solarpanel, sondern auch durch Miniaturen-Windräder, die je nach Wetter ein- oder aufgeklappt werden. Um das Nachhaltigkeitsprojekt perfekt zu machen, wurde auch noch ein Filter für die eigene Regenwasseraufbereitung eingeplant.

Grundlagen und Gründungen

Manche Mängel fallen, da unterscheidet sich dieses Tryout kaum von den echten Bauprojekten der Stadt, erst auf, wenn das Gebäude schon fast komplett ist. Kurz vor der Präsentation werden plötzlich noch Türen eingesägt oder ganze Bäume aufs Dach gepflanzt (sie repräsentieren die Wurzeln der Familie, die laut zweiter Anforderung für das Bauprojekt des Tisch 2 einen Platz im Haus haben müssen.) An Tisch 1 verkauft man seine Schwächen kurzerhand als Stärke: Fenster sind im gesamten Hochhaus mit seinem Traum-Dachgarten nicht vorgesehen, »aus Umweltschutzgründen«, wie Julian meint. »Stattdessen arbeiten wir mit energiesparender LED-Beleuchtung, die das Tageslicht simuliert.« Corbinian verliert kurzzeitig lachend die Fassung: »Klingt nach der Hölle!« Aber die Hausbauer:innen lassen sich nicht beirren. Und am Ende kommt es ja wie im echten Leben auch darauf an, wie gut man sein Bauprojekt schließlich verkaufen kann.

Reginas Schlusswort fällt begeistert aus. Nicht nur, dass hier in relativ kurzer Zeit vier ansehnliche Baumodelle entstanden sind, sondern auch: »Das war wirklich das entspannteste Tryout aller Zeiten! Und ihr seid endlich mal ein bisschen miteinander ins Quatschen gekommen. Schulübergreifend.« Das, meint sie, sei doch schon ein wichtiger Anfang und somit eine gute Grundlage für die nun bald folgende Gründung.