© Kai Wido Mayer
Wie wird aus bald drei Jahren Proben, Experimentieren, Kennenlernen die große, allumfassende Gründung? Während die ALL OUR FUTURES in Frankfurt tiefer in die Welten einsteigen, die sie in den ersten beiden Jahren geschaffen haben, bereitet sich Tina Müller von ihrer Wahlheimat Berlin aus (aber mit regelmäßigen Besuchen am Main) auf das große Finale des Projekts vor.
Für ihre Theaterstücke, die sich oft mit Konflikten und Lebenswelten junger Menschen beschäftigen, wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. Für AOF wird Tina Müller »Die Gründung« (Arbeitstitel) schreiben. Ein Interview über die Vielstimmigkeit des Theaters, Arbeitsprozesse – und warum das, was ein Mensch sagen oder zeigen möchte, mindestens ebenso interessant ist wie die sogenannte Realität.
Liebe Tina, ich erreiche Dich gerade in Berlin. Du bist aktuell nur hin und wieder in Frankfurt, trotzdem arbeitest du bereits im Hintergrund an dem Stück, das im April auf die Bühne gebracht werden soll. Kannst du uns ein bisschen über deinen Arbeitsprozess erzählen?
Seit etwa einem Jahr verfolge ich nun den Prozess von AOF, besuche die Tryouts und habe mit den meisten Mitwirkenden Interviews geführt. Dabei versuche ich zu erfassen, um was es im Ganzen geht, also welches Thema die sehr unterschiedlichen Jugendlichen miteinander teilen, was sie alle gemeinsam beschäftigt und worum es in einer Abschlussinszenierung gehen könnte. Seit ein paar Wochen sitze ich nun am Schreibtisch und versuche, diese Ergebnisse auf Papier zu bringen. Nicht, indem ich eigene Worte schreibe, sondern das gesammelte Material, also die O-Töne der Schüler:innen so arrangiere, dass daraus ein zusammenhängendes Ganzes entsteht.
Das gesammelte Material, von dem du sprichst, ist auf Grundlage etlicher Gespräche entstanden, die du mit den Schülerinnen und Schülern geführt hast. Um welche Themen ging es dort? Und trefft ihr euch zu zweit, in einer kleineren Gruppe, mit oder ohne die Teams?
Meistens haben wir in kleinen Gruppen gesprochen, manchmal auch alleine, aber immer ohne Lehrer:innen und Künstler:innen. So haben die Schüler:innen die Möglichkeit, selbst zu wählen, was sie mir zeigen wollen und was nicht. Mich interessiert gar nicht so sehr die Realität, sondern das, was mir jemand zeigen und was jemand auf der Bühne sagen will. Das sagt genauso viel aus und ist ebenso real.
Das »nicht über jemanden sprechen, sondern mit« scheint ein wichtiges Prinzip deiner Arbeit zu sein. Du hast unter anderem für »Gespräche über uns« eine Auszeichnung erhalten – ein Stück, das du im Gespräch mit Ahmed Mohammed entwickelt hast…
Seit einiger Zeit entwickle ich meine Texte nur noch im Teamwork. Entweder mit den Menschen, die später den Text auf der Bühne sprechen oder mit Expert:innen, die sich in einem Themenfeld besonders gut auskennen. Ahmed Mohammed ist ein Mann mit 15 Jahren Fluchterfahrung. Er hat einen so denkbar anderen Blickwinkel auf das Leben als ich. Egal, worüber wir beide sprechen, es zeigt sich immer: Man kann es so oder so sehen. Es gibt so viele Sichtweisen auf die Welt. Und das Theater ist ja ein Medium der Vielstimmigkeit. Mich interessiert, dass im Theater die Wahrheit meist irgendwo zwischen den Stimmen zu finden ist.
Das wird sicherlich auch im Abschlussstück von AOF zum Tragen kommen… Inwiefern (oder auch: nicht) knüpft deine Arbeit an die der Künstlerteams an?
Natürlich versuche ich, auf dem, was die Künstler:innen mit den Schüler:innen erarbeitet haben, aufzubauen. Manche Gruppen haben mich mit ihren Tryouts zu einer Szenenidee inspiriert. Bei anderen, die vielleicht wenig verbal gearbeitet haben, habe ich das Textmaterial eher aus den Interviews entwickelt. Der Gesamteindruck, den ich von den Tryouts habe, fließt aber unbedingt in meine Arbeit ein: Die Diversität dieser vielen jungen Menschen, die unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen auf unsere Welt und die vielen offenen Fragen an die Zukunft.
Wie ergebnisoffen kannst du dein Thema als Autorin angehen, gerade bei einem Mammutprojekt wie diesem – hast du bereits eine grobe Vorstellung im Kopf, in welche Richtung das Stück gehen soll, wenn du dich triffst?
Bei AOF geht es ja gerade darum, die Schüler:innen zu Wort kommen zu lassen. Meine Aufgabe besteht nun darin, ihre Worte so zu arrangieren und zu verdichten, dass sie sich selbst noch darin erkennen. Deswegen ist es auch wichtig, dass ich ihnen den Text zurückgebe und frage, findet ihr euch darin noch wieder? Sagt euch das noch was? Wollt ihr damit auf die Bühne?
Auf das Ergebnis eurer Gespräche, des Hin- und Herspiegelns bin ich sehr gespannt. Kannst du uns schon etwas genauer verraten, was die Zuschauer im April erwartet? Wird am Schluss tatsächlich jede:r unserer AOFs eine eigene Rolle im Stück bekommen?
Dazu möchte ich im Moment noch nichts sagen. Einige Entscheidungen sind noch nicht gefällt. Erst wenn ich mich mit der Regie und Dramaturgie endgültig abgestimmt habe, kann ich erste Ausblicke preisgeben. Aber sicher ist, dass wir jede:n Schüler:in mit ihrer/seiner Haltung auf der Bühne sehen möchten! Einzelne werden hervortreten, andere werden hauptsächlich chorisch agieren. Wir versuchen, dabei auf die Talente, die Bereitschaft, aber auch auf die Bedürfnisse der Schüler:innen einzugehen.
Vielen Dank für Deine Zeit!
Für ihre Theaterstücke, die sich oft mit Konflikten und Lebenswelten junger Menschen beschäftigen, wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. Für AOF wird Tina Müller »Die Gründung« (Arbeitstitel) schreiben. Ein Interview über die Vielstimmigkeit des Theaters, Arbeitsprozesse – und warum das, was ein Mensch sagen oder zeigen möchte, mindestens ebenso interessant ist wie die sogenannte Realität.
Liebe Tina, ich erreiche Dich gerade in Berlin. Du bist aktuell nur hin und wieder in Frankfurt, trotzdem arbeitest du bereits im Hintergrund an dem Stück, das im April auf die Bühne gebracht werden soll. Kannst du uns ein bisschen über deinen Arbeitsprozess erzählen?
Seit etwa einem Jahr verfolge ich nun den Prozess von AOF, besuche die Tryouts und habe mit den meisten Mitwirkenden Interviews geführt. Dabei versuche ich zu erfassen, um was es im Ganzen geht, also welches Thema die sehr unterschiedlichen Jugendlichen miteinander teilen, was sie alle gemeinsam beschäftigt und worum es in einer Abschlussinszenierung gehen könnte. Seit ein paar Wochen sitze ich nun am Schreibtisch und versuche, diese Ergebnisse auf Papier zu bringen. Nicht, indem ich eigene Worte schreibe, sondern das gesammelte Material, also die O-Töne der Schüler:innen so arrangiere, dass daraus ein zusammenhängendes Ganzes entsteht.
Das gesammelte Material, von dem du sprichst, ist auf Grundlage etlicher Gespräche entstanden, die du mit den Schülerinnen und Schülern geführt hast. Um welche Themen ging es dort? Und trefft ihr euch zu zweit, in einer kleineren Gruppe, mit oder ohne die Teams?
Meistens haben wir in kleinen Gruppen gesprochen, manchmal auch alleine, aber immer ohne Lehrer:innen und Künstler:innen. So haben die Schüler:innen die Möglichkeit, selbst zu wählen, was sie mir zeigen wollen und was nicht. Mich interessiert gar nicht so sehr die Realität, sondern das, was mir jemand zeigen und was jemand auf der Bühne sagen will. Das sagt genauso viel aus und ist ebenso real.
Das »nicht über jemanden sprechen, sondern mit« scheint ein wichtiges Prinzip deiner Arbeit zu sein. Du hast unter anderem für »Gespräche über uns« eine Auszeichnung erhalten – ein Stück, das du im Gespräch mit Ahmed Mohammed entwickelt hast…
Seit einiger Zeit entwickle ich meine Texte nur noch im Teamwork. Entweder mit den Menschen, die später den Text auf der Bühne sprechen oder mit Expert:innen, die sich in einem Themenfeld besonders gut auskennen. Ahmed Mohammed ist ein Mann mit 15 Jahren Fluchterfahrung. Er hat einen so denkbar anderen Blickwinkel auf das Leben als ich. Egal, worüber wir beide sprechen, es zeigt sich immer: Man kann es so oder so sehen. Es gibt so viele Sichtweisen auf die Welt. Und das Theater ist ja ein Medium der Vielstimmigkeit. Mich interessiert, dass im Theater die Wahrheit meist irgendwo zwischen den Stimmen zu finden ist.
Das wird sicherlich auch im Abschlussstück von AOF zum Tragen kommen… Inwiefern (oder auch: nicht) knüpft deine Arbeit an die der Künstlerteams an?
Natürlich versuche ich, auf dem, was die Künstler:innen mit den Schüler:innen erarbeitet haben, aufzubauen. Manche Gruppen haben mich mit ihren Tryouts zu einer Szenenidee inspiriert. Bei anderen, die vielleicht wenig verbal gearbeitet haben, habe ich das Textmaterial eher aus den Interviews entwickelt. Der Gesamteindruck, den ich von den Tryouts habe, fließt aber unbedingt in meine Arbeit ein: Die Diversität dieser vielen jungen Menschen, die unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen auf unsere Welt und die vielen offenen Fragen an die Zukunft.
Wie ergebnisoffen kannst du dein Thema als Autorin angehen, gerade bei einem Mammutprojekt wie diesem – hast du bereits eine grobe Vorstellung im Kopf, in welche Richtung das Stück gehen soll, wenn du dich triffst?
Bei AOF geht es ja gerade darum, die Schüler:innen zu Wort kommen zu lassen. Meine Aufgabe besteht nun darin, ihre Worte so zu arrangieren und zu verdichten, dass sie sich selbst noch darin erkennen. Deswegen ist es auch wichtig, dass ich ihnen den Text zurückgebe und frage, findet ihr euch darin noch wieder? Sagt euch das noch was? Wollt ihr damit auf die Bühne?
Auf das Ergebnis eurer Gespräche, des Hin- und Herspiegelns bin ich sehr gespannt. Kannst du uns schon etwas genauer verraten, was die Zuschauer im April erwartet? Wird am Schluss tatsächlich jede:r unserer AOFs eine eigene Rolle im Stück bekommen?
Dazu möchte ich im Moment noch nichts sagen. Einige Entscheidungen sind noch nicht gefällt. Erst wenn ich mich mit der Regie und Dramaturgie endgültig abgestimmt habe, kann ich erste Ausblicke preisgeben. Aber sicher ist, dass wir jede:n Schüler:in mit ihrer/seiner Haltung auf der Bühne sehen möchten! Einzelne werden hervortreten, andere werden hauptsächlich chorisch agieren. Wir versuchen, dabei auf die Talente, die Bereitschaft, aber auch auf die Bedürfnisse der Schüler:innen einzugehen.
Vielen Dank für Deine Zeit!