»Einfach beim Nordwestzentrum aussteigen …« Nur, dass das gar nicht so einfach ist – also das Aussteigen schon, aber dann? Stehe ich an einer Schnellstraße mitten im Frankfurter Norden und muss diese noch viel nordischer klingende Straße erst einmal finden: Hammarskjöldring. Hausnummern helfen auch nicht großartig weiter, denn welcher Ordnung auch immer sie folgen: ›chronologische Abfolge‹ ist es nicht. Ein Hoch auf die freundlichen Fahrradfahrerinnen, denn so eine ist es schließlich, die zumindest weiß, dass die Ernst-Reuter-Schule hier ganz sicher nicht ist. Sie weist nach rechts durch den Park und fährt mit ihrem irrsinnig langen Schal fröhlich winkend weiter. Was für ein Glück, dass in diesem Augenblick Jormas knallbunte Jacke durch die Bäume leuchtet, sonst hätte ich mit Sicherheit noch die ein oder andere ›Also-hier-ist-es-auch-nicht‹-Runde durch den Park gedreht.

In der ›Sporthalle I‹, dem Probenraum, zieht’s und kalte Schneeluft strömt durch die gekippten Oberfenster herein. Jemand hat wohl vergessen, sie zu schließen. Trotzdem sitzen alle 20 Kinder innerhalb weniger Minuten im Kreis auf dem Holzboden und inspizieren den kleinen schwarzen Kasten in der Mitte. Ein Mini-Lautsprecher, den Paul mitgebracht hat und den er jetzt an ein Handy anschließt. »Wir haben beim letzten Mal draußen Geräusche aufgenommen«, berichtet Hakim, der neben mir sitzt und durchsucht sein Smartphone nach einer guten Datei. »Davor waren wir schon mal unterwegs und haben Fotos von unserer Umgebung gemacht. Auf dieser Karte hier«, er zieht ein geknicktes A4-Blatt hervor, schematisch sind die unzähligen Gebäude des Schulgeländes eingezeichnet, »haben wir markiert, wo wir langgegangen sind. Unsere Wege und Fundstellen.« Aus dem schwarzen Würfel raschelt, pocht und stampft es, klingt nach schnellen Schritten durch trockenes Laub und nach einer Hand, die während der Aufnahme unbedacht übers Mikro fährt. Paul drückt auf ›Stopp‹: »Was meint ihr? Wie können wir diese kleinen akustischen Szenen nachmachen? … aber ohne Hilfsmittel!« Klopfen auf den Boden, Handflächen aneinander reiben – nichts trifft’s so ganz. Erst das Kratzen am Pulli hat mehr Ähnlichkeit mit dem anfangs gehörten Geräuschschnipsel. Etwas stimmt aber immer noch nicht. Corbinian gibt einen Tipp: »Was ist denn mit dem Rhythmus?« Also nochmal genau hinhören. Und während alle so angestrengt lauschen, fällt plötzlich etwas ganz anderes auf: die surrende Neonröhre unter der Decke. Keine fünf Minuten später dirigiert Paul den ›Neonröhren-Chor‹, und die verschiedenen Einsätze aus Summen und Singen kommen dem Störgeräusch tatsächlich erstaunlich nahe.

»Und was machen wir heute Neues?« Mittlerweile rutschen die ersten ungeduldig auf dem Turnhallenboden hin und her. Eine längere Aufnahme soll entstehen, bis zu fünf Minuten und als Idee für eine spätere Soundcollage dienen. »Bitte nicht dabei reden«, erinnert Paul nachdrücklich, »sonst müssen wir das rausschneiden und das ist schade für die Aufnahme.« – »Das wird aber schwierig …« tönt Nikolas‘ skeptische Stimme aus der Ecke. Nach kurzem Durcheinander haben sich die einzelnen Expeditionstruppen gefunden und laufen in alle Richtungen davon: eine:r ist für die Karte, eine:r für das Geräusch und eine:r für die Aufnahme zuständig. Fatima, Paula und Berfin biegen zielstrebig nach links und entscheiden sich nach zwei, drei schmalen Seitenwegen für eine Art kleinen Innenhof, Gebäude Nr. 13, sagt die Karte. Grauer Asphalt und schmutzig tauender Schneematsch, dazwischen die Mensa ›Poggibonsi‹. Warum denn gerade hier? »Da hinten ist unser geheimer Ort«, Paula zückt ihr Handy und Fatima setzt vorsichtige Schritte in den Neuschnee – Knistern und Knirschen füllen die ersten Sekunden der Aufnahme, aber auch die drei Meisen im kahlen Fliederstrauch, zerbrechende Stöckchen und die quietschende Bank unter der alten Eiche finden ihren Weg ins Sound-Archiv. Schon ist die halbe Stunde vorbei und die kleine Gruppe zieht zurück zu den anderen in die Turnhalle.

Auf den spröden Holzplanken an der Heizung sitzen Paulina und Andreea (»Du musst mich mit zwei ›e‹ schreiben, das ist ein rumänischer Name.«) und halten ein Handy zwischen die Köpfe gedrückt. »Hör mal, das Rascheln hier ist Bonbonpapier.« Dann eine Melodie, mehrstimmige Gesangsfetzen – die beiden hatten Glück, denn der Schulchor probte genau zur richtigen Zeit.